Johannes von Rosenau, KREUZIGUNG
Wandgemälde, al-secco-Technik
Evangelische Stadtpfarrkirche Hermannstadt, nördliche Chorwand
Das 48 Quadratmeter große Wandbild an der nördlichen Chorwand der Stadtpfarrkirche ist inschriftlich als Werk eines „magister Iohannes de Rozenaw” bezeichnet und 1445 datiert. Nachreformatorische Übermalungen haben die ursprüngliche Komposition stark abgeändert.
Die zentrale Kreuzigung, der Schmerzensmann in der gemalten Sakramentsnische und die Architekturrahmung greifen über vermittelnde Bildformeln der Alpenländer – wie z. B. die der so genannten Domkreuzigung in der Münchener Frauenkirche, des „Basler Meisters von 1445” (Grablege Ottos III von Hachberg im Konstanzer Münster, 1445) oder jene von Conrad Laib ( z. B. sog. Salzburger Kalvarienberg, Unteres Belvedere Wien) – auf italienische Vorbilder des 14. Jahrhunderts wie die Wandbilder des Giotto-Nachfolgers Altichiero in der Capella San Felice, Basilica di Sant` Antonio, Padua zurück. In ihren Grundzügen haben sie die Reformation dank ihrer Vereinbarkeit mit den Inhalten des lutherischen Glaubens relativ unverändert überstanden. Auch die Wappengruppe verweist noch huldigend auf den ungarischen König Ladislaus V. (1440-1457); ebenso die beiden flankierenden Figuren mit Zepter und Hellebarde, die zumeist als die Königsheiligen Stefan (li.) und Ladislaus (re.) gedeutet werden.
Bei diesen spätgotischen Anteilen des heutigen Wandbildes mag es sich ursprünglich um ein Votivbild oder ein Epitaph der heute unbekannten, einstmals aber bedeutenden Stifterpersönlichkeiten handeln, die seitlich der Nische mit dem Schmerzensmann abgebildet sind. Im Zentrum der beiden benachbarten Vierpässe befanden sich ursprünglich ihre Wappen; heute sind sie übermalt. Als monumentales Epitaph wird sich das Rosenauerbild auf eine Grablege für die Stifter bezogen haben, die sich im Kircheninneren befand. Die auf Ladislaus V. verweisenden Wappen legen eine enge Beziehung der beiden zum Königshaus nahe.
Alle weiteren Darstellungen sind nach der Reformation, höchstwahrscheinlich in der Mitte des 17. Jahrhunderts durch den Hermannstädter Maler Georg Hermann hinzugefügt worden, als sich die Bedürfnisse an den Wandschmuck der Kirche bereits gewandelt hatten. Das bekrönende JAHVE-Tetragramm, unter der das Haupt einer übermalten, spätgotischen Marienfigur hervor leuchtet; die beiden flankierenden Christusfiguren oberhalb der Königsheiligen mit den Bezeichnungen gloria (Herrlichkeit) und humilitas (Demut) und die drei Darstellungen in den Giebelfeldern mit Geburt, Himmelfahrt und Taufe Christi.
Mit der Hinzufügung fünf weiteren Christusdarstellungen erhöhte sich ihre Anzahl im Bild von zwei auf sieben. Dieser Eingriff ist kein willkürlicher Akt gewesen, sondern eine bewusste Umwandlung des spätgotischen Bildes in ein lutherisches Lehrbild.
Waagerecht verbildlichen der Ecce Homo und Weltenrichter die Zweinaturenlehre: Der erniedrigte Mensch Jesus Christus ist dem erhöhten Gott Christus gegenüber gestellt. Die Einfügung der Himmelfahrt Christi in der senkrechten Achse zum Schmerzensmann lässt auf dessen geänderte Bedeutung innerhalb des neuen Bildprogramms schließen: als Darstellung Christi in der Vorhölle oder Unterwelt. Die Verbindung von Christi Himmelfahrt, flankiert durch Geburt und Taufe Christi, mit der Kreuzigungsdarstellung und dem Bild Christi in der Vorhölle veranschaulicht Christi Erlösungswerk.
Die sieben Darstellungen Christi bringen damit nun wesentliche christologische Anschauungen der lutherischen Theologie zum Ausdruck, die in der „Sermon von der krafft der Hymelfart Christi, aus der Epistel Sanct Pauel zun Ephesern“ (D. Martin Luthers Werke, Weimarer Ausgabe, 23, 699b-726) Martin Luthers unnachahmlich plastisch und gleichfalls wünschenswert konzise zusammengefasst sind.
Darin setzt der Reformator die Argumentation auseinander,
„das der Gott mensch sey worden, vom heiligen geist empfangen, von einer Junckfrawen geporen, gestorben, widder vom tod auff erstanden, gen himel gefaren, Denn sol er auff faren, mus er yha vor herunder faren, Das ist, wie gesagt ist, mus mensche werden, die sunde der welt auff sich nemen, den tod leiden. Widderumb solt er widder auff faren, die gefengnis gefangen nemen, unter die menschen gaben austeilen und uber sund, tod, teuffel, helle und alle creaturen hirschen als Gott, so mus er yha mehr denn ein mensch, yha mus warer Got sein, denn solches sind nicht wercke einer creature, sondern des schoepfers selbs etc.“
So hat er das Gefängnis gefangen genommen, dass uns gefangen hielt,
„dis gefengnis, das uns gefangen nimpt, das gesetz, die sund, der tod, teuffel und helle“.
In ähnlicher Weise, wie die Predigt Luthers Christi Gottmenschheit, sein Hinabsteigen zur Erde, seinen Sühnetod, seine anschließende Höllen- und Himmelfahrt als Befreiung der Menschheit vom „gefengnis“, d. h. von Tod, Hölle und Sünde zu einer einzigen Heilsaussage zusammen bindet, so führt das Wandbild die Erscheinungen Christi als Mensch und Gott, Erlöser am Kreuz, als descensus und ascensus zusammen.
Wer die Worte Luthers im Hermannstadt des siebzehnten Jahrhunderts vor Augen hatte, der wird in der Darstellung des Schmerzensmannes in der vergitterten Nische vielleicht nicht nur den zur Hölle hinab gestiegenen, sondern auch das „gefengnis“, das Christus gefangen genommen hat, erkannt haben.
Ähnlich wie auch der sogenannte alte Altar in derselben Kirche aus dem Jahr 1512 wurde das Wandbild durch die Übermalung des 17. Jahrhunderts also dahin gehend abgewandelt, dass es die frohe Botschaft fortan im Sinne des evangelischen Glaubens verkündet..
Frank-Thomas Ziegler, Kustos Brukenthalsammlungen