Klein, aber sehr zerbrechlich und doch so hölzern, starr sind die Zweige, dass man daraus schwer eine Dornenkrone binden kann. Der Reif, auf den sie gebunden sind, gehört dem Zubehör der Stadtpfarrgemeinde an, das für Symbole oder Schmuck zu liturgischen Ausstattungen bei Gottesdiensten verwendet wird. Beim Ausräumen der Kirche, im Vorfeld ihrer jahrelangen Innenrenovierung, ging dieser unscheinbare Ring mit den alten Dornen nicht verloren. Eigentlich ein kleines Wunder.
„Die Dornenkrone hat durch langjährigen Gebrauch etwas gelitten. Zerknickt und die längsten Stacheln sind ab. Sie sollte erneuert werden, meint die Kuratorin. Meine Lieblingsdornenstelle am Zackelsberg ist nicht erreichbar, auch der Wartberg mit dem Sanddorn und den Schlehensträuchern wegen der Ausgangssperre noch zu weit. Also bleibt der Junge Wald. 6 km, so meinen die beiden von der „Jandarmerie“, die auf einmal am Waldweg auftauchen, sind gerade noch zulässig für einen Sonntagsspaziergang. Außerdem sind wir ja in liturgischer Mission unterwegs. Ohne große Erwartung. Bis sie dann doch unerwartet am Wegrand stehen – klein und noch nicht einmal ganz ausgewachsen. Leicht zu übersehen, nicht einmal ihren Namen kennen wir. Aber Karfreitag werden sie uns an den Schmerz erinnern, der uns mit Menschen aus aller Welt verbindet – durch alle Ausgangssperren hindurch.“ (K.Dörr)
Seit Mitte März umgibt uns, buchstäblich jeden von uns, die Gefahr einer Virusinfektion Covid-19. Wir haben Ausgangsbeschränkungen, die Älteren mehr, die Jüngeren weniger. Es naht Karfreitag. Wo wird der Gottesdienst gefilmt werden? Es zeichnet sich ab: Der Chorraum der Stadtpfarrkirche, noch mitten in den Renovierungsarbeiten, wird er Ort unseres Karfreitagsgottesdienstes sein. Eine Dornenkrone gibt es da: Auf dem Haupt des Gekreuzigten im Wandgemälde des Johannes von Rosenauer. Ganz unscheinbar.
Dort, auf dem Rosenauer-Wandbild ist Er groß und die Dornenkrone kaum sichtbar. Jetzt, am Karfreitag, ist sie das große Symbol, Zeichen für unendlich große Leiden.
Zu unscheinbar, weil in der Weite des Chorraums kaum erkennbar, ist auch meine Dornenkrone geworden, aus den Dornenzweigen, die Herr Dörr dafür brachte. Aus dem Jungen Wald. Deswegen habe ich Dornen aus der alten Krone in sie nachgebunden.
Unser Stadtpfarrer wird sie mir nach Karfreitag zurückbringen und am Sonntag, am Ostersonntag, wird sie anders aussehen. Doris und Wolfgang haben sich angeboten, weiße Narzissen aus ihrem Garten für die Krone zu spenden. Die werde ich hineinflechten und dabei mit meinen Fingern den Dornen aus dem Gebinde ausweichen. Ihre unbarmherzigen Stiche tun weh. Einer konnte ihnen nicht ausweichen. Er musste es an sich geschehen lassen. Für uns.
Dann, am Ostersonntag, werden die Dornen Blüten tragen.
Ilse Philippi, Kuratorin der Stadtpfarrgemeinde, Hermannstadt